Geschichten von Eckhart zur Nieden



 

Die Botschaft im Wandel der Zeit

 

Oberhalb von Altenkirchen gibt es die „Kanzel“, eine Felsformation, die an eine Kanzel in einer Kirche erinnert. Ich habe sie mir mal angesehen, weil es hieß, dort habe im achten Jahrhundert Bonifatius gepredigt. Später habe ich gelesen, es müsse wohl nicht Bonifatius selbst sondern einer seiner Schüler gewesen sein.

 

Das kam mir wieder in den Sinn, als ich in Neukirchen den Gottesdienst besuchen wollte und vor dem historischen Gehöft parkte. So ähnlich muss es wohl damals hier ausgesehen haben.

 

Vor meinem geistigen Auge entsteht ein Bild. Vor dem Gehöft hockt eine Frau in einem groben Wollkleid und melkt eine Ziege. Ihren Säugling hat sie in ein Tuch gelegt, das mit einem Seil am Dachbalken hängt. Immer wenn der Kleine zu jammern anfängt stößt sie daran, so dass die Schaukelbewegung ihn wieder beruhigt.

 

Eine Nachbarin kommt vorbei. „Guten Morgen, Kunigunde! Ich war gestern auf dem Berg da drüben, wo der Mann von Gott redet. Schade, dass du nicht dabei warst! Es war wunderbar. Wohltuend!“

 

„Von Gott?“, sagt Kunigunde und melkt weiter, dass die Milch in die hölzerne Schale spritzt. „Was soll daran wohltuend sein? Wenn Thor seinen Hammer schwingt und Blitze auf die Erde schickt, ducken wir uns weg. Aber wenn es vorbei ist, haben wir nichts mehr mit ihm zu tun. Er da oben und wir hier unten. Aber er hat kein Interesse an uns.“

 

„Doch, hat er! Nicht Thor, aber der einzige Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Er liebt uns! Dich und mich auch.“

 

„Liebt uns?“ Kunigunde stellt überrascht das Melken ein.

 

„Ja! So sehr, dass er als Mensch auf die Erde kam, um uns seine Liebe zu zeigen. Er sendet nicht zornige Blitze, sondern lässt seinen Sohn als Mensch geboren werden, hilflos wie dein Kleiner da. Nur nicht in so einer Schaukel, sondern in einer Futterkrippe.“ Und sie stößt leicht die Schaukel an.

 

„Vielleicht sollte ich morgen auch mal mitkommen.“

 

Das Bild vor meinem geistigen Auge verschwindet. Es hat sich so vieles verändert seit damals. Die Leute sind modern gekleidet und statt Ziegen stehen da Autos. Aber die Botschaft von Gottes Liebe, die er uns in der Sendung seines Sohnes beweist, ist immer noch die gleiche. Wir feiern das an Weihnachten.

 

Ich steige aus meinem Auto aus, um zum Gottesdienst zu gehen. Ich freue mich darauf, dort die Liebe Gottes neu vor die Augen gemalt zu bekommen.

 

Eckart zur Nieden

Wandern ohne Karte

 

Auf einem Spaziergang in der Nähe des Golfplatzes von Braunfels traf ich auf Wanderer. Das Ehepaar war zünftig gekleidet: Wanderschuhe, rote Kniestrümpfe, Kniebundhosen und bunte Hemden. Jeder trug einen Rucksack.

 

„Verzeihen Sie“, sprach der Mann mich an, „kennen Sie sich hier aus?“ „Nun ja“, gab ich zur Antwort, „für ´s Wandern reicht´s.“ „Können Sie mir sagen, wie wir nach Hirschhausen kommen?“ Ich überlegte kurz und beschrieb ihm, welchen Weg ich nehmen würde. Aber damit war er nicht zufrieden. „Was Sie beschreiben führt zum Teil über Straßen. Es muss aber einen reinen Wanderpfad geben. Wir haben auf der Wanderkarte gesehen, dass es diesen Weg gibt. Aber wir finden den Anfang nicht.“

 

Ich sagte: „Zeigen Sie mir mal die Karte, dann kann ich Ihnen vielleicht helfen.“ Er machte ein verlegenes Gesicht. „Das geht nicht. Die Karte ist zu Hause. Wir dachten, wir finden den Weg auch so.“ Weil ich ein einigermaßen höflicher Mensch bin, sagte ich nicht laut, was mir durch den Kopf ging. Aber fast hätte ich es gesagt: Warum haben Sie die Karte nicht mitgenommen?

 

Ich konnte also nicht helfen. Ob sie gut nach Hirschhausen gekommen sind, und wie, das weiß ich nicht. Aber bei meinem weiteren Spaziergang ging mir durch den Kopf: Es ist wie bei vielen Menschen, die meinen, sie wüssten den richtigen Weg für ihr ganzes Leben. Aber dann kommen Krisen, sie müssen sich entscheiden, sie fürchten, den eigentlichen Sinn ihres Lebens zu verfehlen.

 

Dabei hat Gott Seine Weisungen, seine Wegweisungen für unser Leben schriftlich niedergelegt - in der Bibel mit ihren Geboten und ihrer frohen Botschaft, mit Anforderungen und Angeboten, mit Belehrungen und Mut machenden Zusagen, mit Kraftzufuhr und Ausblick auf das ewige Ziel. Da steht, wie unser Leben gelingen kann. Aber bei vielen steht die Bibel ungelesen im Bücherschrank, weil sie glauben, sie fänden den Weg auch so. Sie wüssten schon, was richtig ist, und darum sei es unnötig, regelmäßig nach Gottes Wegweisung zu fragen. Wen wundert´s, dass sie nicht wissen, wie sie das Ziel ihres Lebens erreichen können.


Die Gebrauchsanweisung für unser Leben

 

In Braunfels, zwei Straßenecken von meiner Wohnung entfernt, steht ein seltsames Haus. Ich komme immer daran vorbei, wenn ich einkaufen  oder nach Bonbaden fahren will. Es hat nirgends eine gerade Wand oder einen rechten Winkel, soweit man das von außen sehen kann. Alles ist irgendwie gekrümmt. Zur Straße hin ragt als eine Art Balkon eine große Betonplatte auf Stelzen mit einem Loch in der Mitte.

 

Als das Haus noch im Bau war, standen die Nachbarn oft kopfschüttelnd daneben und rätselten, was das wohl werden sollte. Einmal fragte jemand den Polier, der gerade an den Verschalungen für den Beton arbeitete, ob er denn wüsste, was er da eigentlich machte, was das wäre, wenn es fertig sei.

 

„Nein“, sagte der, „wir richten uns nur streng nach der Zeichnung.“

 

Manchmal gleicht unser Leben so einem Bau, bei dem wir noch nicht wissen, was am Ende dabei herauskommt. Da läuft vieles anders als üblich, und auch anders, als wir es ursprünglich erwartet haben. Manches ist gekrümmt, was wir lieber grade hätten. Und es wird so kompliziert, dass wir fürchten, die Übersicht zu verlieren.

 

Da ist es wichtig, sich „streng nach der Zeichnung“ zu richten, nach dem Plan des Architekten. Der Architekt unsres Lebens ist Gott. Er weiß, was er mit uns vorhat und was aus unserm Leben werden soll.

 

Kein Bauarbeiter wird sagen: Was der Architekt da geplant hat, sieht nicht schön aus. Ich mache diese Wand etwas höher. Oder ich mache diese Rundung lieber eckig, das ist einfacher. Ohne Vertrauen zu dem, der alles geplant hat, wird es nichts!

 

Gott hat für jedes seiner Geschöpfe einen Plan. Er ist in der Bibel niedergelegt. Da steht die Gebrauchsanweisung für unser Leben. Das Grundprinzip ist die Beziehung zu Gott, die durch Jesus und seinen Tod und seine Auferstehung möglich ist. Und dann gibt es da noch eine Fülle von einzelnen Anweisungen, über unser Verhältnis zu anderen Menschen und zu uns selbst. Etwa zum Thema Geiz oder Gebefreudigkeit, Egoismus oder Hilfsbereitschaft, Selbstsucht oder Nächstenliebe, Anspruchsdenken  oder Bescheidenheit, Sorgen oder Vertrauen, und vieles, vieles andere.

 

Es lohnt sich, die Zeichnung Gottes für unser Leben genau zu studieren, und dann auch umzusetzen. Denn der, der unser Leben geschaffen hat, will, dass es auch gelingt. Und er weiß am besten, was dafür wichtig ist.


Ein Verbrecher im Paradies

 

Neulich hörte ich, wie ein Missionar von seiner Arbeit in Indien erzählte. Einmal ließ er sich von einer Rikscha ans andere Ende von Delhi bringen. Als sie dort ankamen, sagte der Missionar zum Rikschafahrer: „Dort ist ein Restaurant. Lass uns hineingehen und etwas essen! Ich lade dich ein.“

 

Aber der wehte ab: „Oh nein, das geht nicht! Ich gehöre einer niederen Kaste an. Wenn ich in das vornehme Restaurant gehe, werfen sie mich sofort wieder raus!“

 

„Das werde ich verhindern!“, sagte der Missionar. „Du bist mein Gast. Wenn du in meiner Begleitung bist und ich darauf bestehe, werden sie dich reinlassen.“ Und so kam es dann auch.

 

Da denke ich an eine andere Geschichte. Ein Schwerverbrecher ist zum Tod verurteilt und wird, wie damals üblich, ans Kreuz genagelt, wo er langsam und qualvoll sterben soll. Am Kreuz neben ihm hängt ein Prediger, von dem er schon gehört hat. Er heißt Jesus von Nazareth. Er hat viele Wunder getan, und manche sagen sogar, er sei Gottes Sohn.

 

Der Verbrecher weiß nicht viel darüber, hat sich auch, ehrlich gesagt, bisher nicht viele Gedanken über Gott gemacht. Aber jetzt, in seiner größten Not und kurz vor seinem Tod, wagt er, Jesus zu bitten: „Herr, denke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“

 

Jesus antwortet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“

 

Ein Verbrecher im Paradies? Unmöglich! Da müssten sie ihn sofort hochkantig rauswerfen!

 

Aber er kommt zusammen mit Jesus! Darum ist alles anders. Jesus lädt ihn ein! Der Verbrecher ist in Begleitung des Gottessohnes. Und wer könnte dessen Freund davonjagen!

 

Die erste Geschichte ist weit weg passiert, und die zweite ist schon lange her. Und doch sind sie für uns heute hochaktuell.

 

Wir Menschen, ausnahmslos jeder von uns, würde nie in die himmlische Herrlichkeit Gottes eingelassen. Aber wir müssen ja nicht alleine eintreten. Wir gehören zu den Gästen des Hausherrn. Wenn Jesus schon in diesem Leben unser Begleiter war, und wir seiner, dann dürfen wir auch im Himmel bei ihm sein. Wenn er uns seine Freunde nennt, kann niemand uns trennen. Wir sind eingeladen!


 

„Mit den Engeln will   ich singen…“

 

Die Advents- und Weihnachtszeit scheint eine musikalische Zeit zu sein. Kinder üben mit ihren Flöten, Bläser steigen trotz Kälte mit ihren Instrumenten auf Kirchtürme, und selbst in Kaufhäusern klingt die Musikberieselung harmonischer, wenn auch in diesem Jahr nicht so viele durch die Kaufhäuser strömen.

 

Was hat wohl Advent und Weihnacht mit Musik zu tun? Wir denken an die Engel auf Bethlehems Fluren, die sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe…“. Allerdings können sie nach dem biblischen Bericht einfach gesprochen haben, statt zu singen. Aber wo ist dann die Musik?

 

Mir ging ein Licht auf: Advent und Weihnacht heißt, dass Jesus kommt und Harmonie in die Missklänge unsres Lebens bringt.

 

Missklänge? Ja! Wir wollen doch immer die erste Geige spielen. Wir wollen, dass die anderen nach unsrer Pfeife tanzen. Und wenn sie uns Vorwürfe machen, sind wir verstimmt. Denn schließlich sind wir sehr zart besaitet. Und selbst, wenn wir nur noch aus dem letzten Loch pfeifen, wollen wir immer noch tonangebend sein. Es ist doch immer das alte Lied.

 

In diese Musik stimmt Gott nicht ein. Er könnte uns zwar ganz schön den Marsch blasen! Er könnte uns die Flötentöne beibringen. Er wäre auch im Recht, wenn er mal ganz andere Saiten aufziehen und mal kräftig auf die Pauke hauen würde. Aber damit würde die Disharmonie unsres Lebens nicht besser klingen.

 

Wenn meine Gitarre verstimmt ist, habe ich zwei Möglichkeiten. Ich kann sie verärgert kaputt schlagen oder mich geduldig hinsetzen und sie stimmen. Gott schlägt uns nicht kaputt, wenn es bei uns nicht stimmt. Er bringt uns zurecht. Er gibt uns die verlorene Harmonie zurück. Deswegen ist Jesus gekommen. Was zerbrochen war, fügt er zusammen. Auch eine Art „Kunst der Fuge“. Und er stimmt uns auf den Grundton des Glaubens, bis unser Leben in dem jubelnden Dreiklang von Freude, Friede und Hoffnung ertönt.

 

Ist das nicht Grund zur Freude? Und wer sich freut, der jubelt und singt. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Aber da besonders.


Wasserbäche

 

Im Innenhof von „Amends Mühle“ feiert unsere Gemeinde gern das Erntedankfest.

 

Beim letzten Mal zeigte Mehdi, der Iraner, der sich mit seiner Frau in unsrer Gemeinde engagiert, großes Interesse an so einer alten Mühle. Sie wird heute elektrisch betrieben, aber früher mit dem Wasser des Solmsbaches.

 

Wie kann das funktionieren?, fragte Mehdi. Der Bach hat doch gar nicht genug Gefälle, um ein Mühlrad anzutreiben!

 

Wer da spazieren geht – ich tue das gelegentlich – der sieht noch einen anderen Bachlauf. Er wurde künstlich gegraben. Er zweigt weiter oben Wasser vom Solmsbach ab und führt es auf einem Weg, der fast auf gleicher Höhe bleibt, zur Mühle. Dort hat es dann genug Gefälle, um das Mühlrad zu drehen.

 

Es gibt ein Bibelwort in den Sprüchen Salomos. Es besagt, dass Gott die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche (Sprüche 21,1). Das erinnert mich an manche Situation meines Lebens, in der ich neidisch war auf andere, die viel erlebten, während mir mein Leben öde und langweilig oder auch leidvoll vorkam.

 

Wenn so ein künstlich gegrabener Bach denken könnte, wäre er vielleicht auch neidisch auf den originalen Bach, der da unten lustig über Steine plätschert, während er selbst nur träge dahinfließt. Aber am Ende zeigt sich, dass er damit Kraft gesammelt hat, um das Mühlrad anzutreiben. Der eigentliche Bach aber hat sein Gefälle und damit seine Kraft auf dem langen Weg verspielt.

 

Das will ich aus dieser Beobachtung lernen: Wenn Gott mir ein Bachbett gegraben hat, das mich zur Ruhe zwingt, wenn er mich einen Weg führt, der mir nicht zusagt, so hat das doch einen tieferen Sinn. Er will meinem Leben damit Kraft geben, Gutes zu bewirken. Und dazu will ich mich gern gebrauchen lassen.


Erinnerungen an....

 

Als ich mit meiner Familie 1980 nach Niederbiel zog, hörte ich, dass da eine Frau Köhler ihren hundertsten Geburtstag feierte. Man erzählte, der Landrat habe sie aus dem Anlass besucht. Sie habe dem besonderen Gast nicht nur aus ihrem langen Leben erzählt, sondern auch von ihrem Glauben berichtet, der sie immer getragen habe.

 

Das interessierte mich, weil ich als Redakteur im Evangeliums Rundfunk immer auf der Suche nach interessanten Interviewpartnern war. Ich packte also mein Aufnahmegerät ein und besuchte Frau Köhler. Sie war auch gern bereit, mit mir zu reden.

 

Ich war erstaunt, wie lebhaft die alte Dame erzählte. Vieles davon habe ich vergessen, aber einiges ist mir deutlich in Erinnerung geblieben. Zum Beispiel, dass sie als junges Mädchen sehr viel auf dem Feld und im Garten arbeiten musste. Und wenn die Arbeit getan war, spannte sie zwei Kühe vor den Wagen und fuhr zur Grube Fortuna hinauf. Dort wurde der Wagen mit Eisenerz beladen. Man konnte sich ein wenig Geld verdienen, wenn man die Fuhre ins Tal und an die Bahn brachte. Später gab es da eine Seilbahn, aber damals, als die Jahreszahlen noch mit 18 anfingen, bestand die noch nicht.

 

Frau Köhler erzählte eindrücklich, mit wie viel Angst sie als junges Mädchen diese Fuhren erledigte. Sollten die Bremsen versagen, würden die Kühe den schwer beladenen Wagen an den steilen Stellen nicht halten können. Sie betete, dass Gott sie bewahren würde, und das nahm ihr die Angst.

 

Nicht lange nach ihrem hundertsten Geburtstag kam Frau Köhler ins Krankenhaus. Man glaubte ihr einen Gefallen zu tun, indem man sie in ein Einzelzimmer legte. Aber das war ihr nicht recht. Sie wollte doch anderen erzählen, welche Freude und Geborgenheit sie im Glauben an Christus hatte. Also sang sie – zwar mit brüchiger Stimme, aber laut, so dass es über den Flur klang:

 

Stern, auf den ich schaue,

Fels, auf dem ich steh,

Führer, dem ich traue,

Stab, an dem ich geh,

Brot von dem ich lebe,

Quell, an dem ich ruh,

Ziel, das ich erstrebe,

alles, Herr, bist du.

 

Natürlich lebt Frau Köhler längst nicht mehr, das ist ja vierzig Jahre her. Sie hat das Ziel erreicht, das sie erstrebt hat. Was ist das für ein Geschenk, wenn man auf ein Leben zurückschauen kann, in dem einen der liebende Vater im Himmel durch alle Krisen begleitet hat! Manchmal denke ich noch an Frau Köhler und freue mich, dass ich die gleiche Erfahrung machen kann.


Eine Ostergeschichte

 

Wir waren mit einer Reisegruppe in Jerusalem. Dort wollten wir das so genannte „Gartengrab“ besuchen. Darin war nicht, wie manche irrtümlich meinen, Jesus begraben. Aber es ist das einzige erhaltene Grab in der Art, wie wohl das Grab des Joseph von Arimathäa war, in dem Jesus gelegen hatte: Eine Höhle im Fels und ein großes steinernes Rad, das man davor rollen konnte, um das Grab zu verschließen. Da dies außerdem ein schöner, ruhiger Ort ist – eine Seltenheit in Jerusalem – kamen wir gern hierher, um in einer Andacht an Tod und Auferstehung Jesu zu denken.

 

Während ich noch damit beschäftigt war, unsere Gruppe nach dem Aussteigen aus dem Bus zu sammeln, ging meine Frau schon mal vor – sie kannte sich ja aus.

 

Niemand war im Garten. Langsam ging sie zu der Grabhöhle mit dem großen Rollstein an der Seite.

Plötzlich stand da ein Mann mit einer grünen Schürze und einer Gießkanne – ein Gärtner. Er lächelte sie freundlich an. Hatte nicht Maria Magdalena den auferstandenen Jesus am Ostermorgen für einen Gärtner gehalten? So berichtet es das Johannesevangelium im zwanzigsten Kapitel. Es durchfuhr meine Frau der Gedanke: eine Situation wie damals! Jesus ist auferstanden! Kann man es treffender illustriert bekommen als mit einem Gärtner vor dem leeren Grab?

 

Wir kamen mit unsrer Gruppe an und der Gärtner verschwand. Aber uns alle berührte der Blick auf das Grab und der Gedanke an Jesus, den der Tod nicht halten konnte.

 

Solche Erlebnisse sind schön und können den Glauben stärken. Aber nötig für den Glauben sind sie nicht. Wir können auch so wissen, dass Jesus auferstanden ist – aus der Bibel und durch den heiligen Geist, und weil wir jederzeit mit ihm reden können im Gebet. Er lebte nicht nur in Jerusalem vor zweitausend Jahren, er lebt auch heute überall. Auch in Bonbaden, Neukirchen und Schwalbach.


Zwei Streichhölzer

 

 „Verrückt! Einfach verrückt!“ Frieder steigerte sich richtig in seinen Ärger. „Warum steckst du nur immer und immer wieder die abgebrannten Streichhölzer in die Schachtel zurück? Dabei habe ich das schon hundert Mal gesagt!“

 „Komm, hör auf!“ Simone ahnte, dass er sich nicht so bald beruhigen würde, wenn er einmal in Fahrt war. Und das am Heiligabend!

 

„Kannst du mir einen vernünftigen Grund nennen, warum du immer diese Sauerei mit dem schwarzen Krümelzeug… und dann braucht man immer erst die Brille, um zu sehen, welches Streichholz wohl noch zünden könnte, und weil man das nicht rauskriegt mit den Fingern, muss man immer alles…“

„Mach doch nicht so ´n Theater wegen einem Streichholz oder zweien!“

 

Er warf die Schachtel auf den Tisch neben das Gesteck, das er eigentlich anzünden wollte, und verließ unter wortlosem Protest die Weihnachtsstube. Am liebsten hätte er die Tür zugeknallt, was aber nicht ging, weil die kleine Katherina davor stand und herein drängte.

„Kann ich jetzt reinkommen, Papa?“

 

„Meinetwegen. Es findet aber keine feierliche Bescherung bei Kerzenschein statt. Ich habe kein Streichholz gefunden.“ Er eilte in sein Arbeitszimmer. Mein Gott, wie regt die Frau mich manchmal auf!, dachte er. Na ja, mit Gott hatte das wohl nichts zu tun. Oder vielleicht doch?

Als er nach dreizehneinhalb Minuten wieder zurückkam, rief ihm Katherina entgegen: „Wo warst du denn, Papa? Mama hat mir eine Geschichte erzählt, von den Schafen auf dem Feld von Bethlehem, wie die Engel kamen.“

 

Er sah, wie Simone auf dem Tisch die Streichhölzer spielerisch geordnet hatte. „Es waren lauter weiße Schafe und zwei schwarze“, sagte sie. Leise, aber mit einem leicht trotzigen Unterton.

„Erzählst du mir auch eine Geschichte, Papa?“

 

„Ja“, sagte er und setzte sich neben Simone. Er legte den Arm um sie und flüsterte: „Entschuldige bitte!“ Sie reagierte nicht. Katherina kletterte auf seinen Schoß.

„Also: Es war mal eine Stadt, da herrschten Dunkelheit und Kälte. Das war in der Zeit, als es noch keinen elektrischen Strom und so was gab. Die Leute hatten zwar alle Kerzen und Öfen mit Kohle. Aber sie hatten keine Streichhölzer. Sie durchsuchten alle ihre Häuser vom Boden bis zum Keller. Manchmal fanden sie eine Schachtel, aber es waren nur abgebrannte Hölzchen drin. So mussten sie schrecklich frieren und Angst haben im Dunkeln. Auf einmal aber sagte eine Stimme vom Himmel zu einigen armen Leuten: Fürchtet euch nicht! Ich verkündige euch große Freude! Seht mal im Stall nach! Da findet ihr Licht und Wärme. Und sie kamen eilend und fanden beides. Hier brannte tatsächlich eine Kerze und ein Ofenfeuer. Sie entzündeten daran ihre Lampen, und daran zündeten wieder alle anderen ihre Kerzen und ihre Öfen. Ich auch.“

„Du?“, staunte Katherina.

Simone sagte leise: „Kannst du mir auch mal Feuer geben?“


Der Traum

 

Neulich habe ich geträumt.

 

Ich hatte Kummer. Da fiel mir ein, dass ich kurz zuvor das Wort von Gott im Psalm gelesen hatte: „Rufe mich an in der Not!“

 

Also – so träumte ich – rief ich an.

 

„Hier ist der Himmel“, hörte ich. „Zur Verbesserung unserer Kundenbetreuung zeichnen wir das Gespräch auf. Wenn Sie damit einverstanden sind, sagen Sie: Ja!“

 

„Ja“, sagte ich. Ich hatte sowieso erwartet, dass im Himmel alles gespeichert ist.

 

„Wenn es sich bei ihrem Anliegen um eine Bitte handelt, drücken Sie eins. Handelt es sich um eine Klage oder Unmutsäußerung, drücken Sie zwei. Wenn Sie eine positive…“

 

Ich drückte eins.

 

„Sie haben eine Bitte vorzubringen. Handelt es sich um Heilung von einer Krankheit körperlicher Art, drücken Sie eins. Bei seelischen Problemen drücken Sie zwei. Wollen Sie für einen anderen Menschen bitten, drücken Sie drei. Geht es um die allgemeine Weltlage, drücken Sie bitte die vier. Wenn Sie Vergebung für eine Sünde…“ Ich drückte eins und zwei zusammen, weil ich nicht so schnell entscheiden konnte, ob mein Problem nur körperlicher oder auch psychischer Art war.

 

„Ihre Angaben waren unverständlich. Wenn sie ein Problem körperlicher Art haben, drücken Sie eins. Bei seelischen…“

 

Ich wollte mir das alles nicht noch einmal anhören und drückte diesmal nur die eins, notgedrungen.

 

„Bitte haben Sie etwas Geduld. Sobald ein Mitarbeiter frei ist, wird Ihre Verbindung geschaltet.“

 

Entnervt schreckte ich aus dem Schlaf. Ich war verschwitzt und mein Atem ging wie ein Blasebalg.

 

Nach einer Weile hatte ich mich etwas beruhigt. Immerhin war ich jetzt richtig wach. Und ich betet: „Himmlischer Vater, ich danke Dir, dass ich jederzeit mit Dir reden kann. Mit Dir persönlich! Überall und ungehindert und über alles, was mich bewegt. Du hörst mich und hilfst und gibst Kraft und Trost.“


Aufwind

 

Als Anfang des vorigen Jahrhunderts in der Rhön die Segelfliegerei entwickelt wurde, entstand in einem Ort in der Nähe ein Verein. Man war begeistert von diesem Sport, legte zusammen, um ein Segelflugzeug zu kaufen, und viele lernten fliegen. Die Nazis förderten das, weil sie hofften, auf diese Weise Flugbegeisterte zu finden, die sie später zu Kampfpiloten ausbilden könnten.

 

Nach dem Krieg war alles vorbei. Die Amerikaner erlaubten keine Fliegerei. Aber der Verein bestand weiter.

 

Einmal kam ein Pfarrer in den Ort, um dort Urlaub zu machen. Er lernte den Verein kennen und sagte zu dem Vorsitzenden, der sein Zimmervermieter war:

 

„Sie haben einen seltsamen Verein! Alle reden vom Fliegen, von Wetter und Aufwind, von Gewicht, Luftwiderständen und Tragflächenprofilen. Sie haben unzählige Bilder von Flugzeugen an den Wänden und bringen Stunden zu mit der Erinnerung an wunderbare Flüge. Nur das Wichtigste fehlt: ein Flugzeug. Sie können nicht fliegen. Es ist alles nur Theorie!“

 

Da antwortete ihm der Mann: „Ist es in Ihrer Kirche nicht genau so? Sie reden von großartigen Ereignissen, die vor 2000 Jahren geschehen sind und sprechen begeistert von Gott. Aber wo ist er? Genau wie unser Verein beschäftigen Sie sich mit der Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit und begeistern sich an Theorien. Sie pflegen hohl gewordene Traditionen. Aber das Eigentliche fehlt: Gott ist nicht da.“

 

Hat er Recht, dieser Mann?

 

Dann wäre die Gemeinde wirklich ein jämmerlicher Verein. Dann hätten wir tatsächlich etwas Großartiges verloren.

 

Aber das ist doch gar nicht nötig! Gott ist doch wirklich unter uns! Wir sehen ihn zwar nicht. Aber er redet mit uns, wenn wir auf ihn hören; er hört auf uns, wenn wir mit ihm reden. Er leitet uns, er tröstet uns, er hilft uns. Mit ihm zu leben ist etwas Wunderbares, ungleich schöner als ein Flug bei Sonnenschein über der Rhön. Der Aufwind seiner Liebe trägt uns.

 

Ganz real!


Beten, das Atemholen der Seele

 

Überrascht blieb ich stehen. Beim Streifen durch den Wald erwartet man ja höchstens, ein Reh aufzuscheuchen oder einen besonderen Pilz zu finden. Aber nicht, dass da ein Rohr aus dem Boden kommt! Aber hier war ein dickes Metallrohr, mit einem kleinen Dach gegen den Regen darüber. Offensichtlich ein Produkt menschlicher Zivilisation.

 

Aber dann fiel es mir ein: Das musste ein „Wetterschacht“ sein, ein Rohr zur Frischluftzufuhr für die Grube Fortuna unter meinen Füßen. Vor einiger Zeit war ich ja da unten gewesen mit Frau und Enkelin. Da fährt man sogar eine weite Strecke mit einem Bähnchen. Das Ende ist so weit vom Eingang entfernt, dass die Luft vom draußen nicht bis da hin kommt.

 

Während ich weiter wanderte – immer mit dem Gedanken an den dunklen Gang unter mir – freute ich mich am Sonnenschein und an der frischen Luft hier oben. Und daran, dass ich nicht da unten mein täglich Brot verdienen musste.

 

Und noch ein Gedanke bewegte mich: Man kann unser Leben mit seiner Dunkelheit und manchen Engstellen mit der Arbeit in einem Stollen vergleichen. Demgegenüber gleicht Gottes Welt der Freiheit in Licht und Luft. Glücklicherweise gibt es immer mal „Wetterlöcher“, Kontaktstellen zwischen unsrer Welt und der Welt Gottes. Ohne die Zufuhr von „Frischluft“ aus seinem himmlischen Reich könnte unser Glaube nicht überleben.

 

Das Gebet ist so eine Verbindung nach oben, auch das Hören auf sein Wort. Jemand sagte einmal: „Beten ist das Atemholen der Seele.“

 


Die Wäscheklammer

 

Vor ungefähr achtzig Jahren habe ich das Licht der Welt erblickt. Vor ungefähr neunundsiebzig Jahren habe ich die ersten Schritte in diese Welt getan.

 

Wie das vor sich ging, weiß ich natürlich nicht mehr aus eigner Erinnerung, aber man hat mir später davon erzählt.

 

Ich tat mir schwer mit den ersten Schritten. Meine Mutter musste mich an der Hand halten, wie das die meisten Mütter mit den meisten Kindern tun. Als sie fand, es würde nun Zeit, dass ich meine Angst überwinde und alleine laufe, wandte sie einen Trick an. Sie drückte mir eine Wäscheklammer in die Hand, die sie am anderen Ende hielt. So tippelte ich mit ihrer Hilfe durch die Wohnung.

 

Irgendwann ließ sie die Klammer los. Ich aber nicht. Ich hielt sie tapfer hoch, als würde sie mich noch mit meiner Mutter verbinden. Für meine Balance brauchte ich sie eigentlich nicht, aber wohl für mein seelisches Gleichgewicht. Ich klammerte mich also an die Klammer in der irrigen Meinung, sie gäbe mir Halt. Dabei gab umgekehrt ich ihr Halt.

 

So hat meine Mutter es mir später erzählt. Es muss ein lustiges Bild gewesen sein, wie der Kleine durch die Stube tappte mit hoch erhobener rechter Hand, und darin einer hölzernen Wäscheklammer.

 

Es dauerte nicht mehr lange, bis ich ohne diese Hilfe laufen konnte, die ja gar keine Hilfe war. Es dauerte aber länger, bis ich einen Halt für mein ganzes Leben fand. Was ich damit meine?

 

Wir Menschen neigen dazu, einen Halt für unser Leben in Dingen zu suchen, die in Wirklichkeit wir erst selbst halten müssen – Hobbys etwa, Besitz oder das Streben nach Anerkennung. Aber was wir uns erarbeiten müssen, was wir also selbst halten müssen, gibt uns nicht wirklich Halt. Denn wenn wir fallen, fällt es auch. Nur was von uns unabhängig ist, was größer und stärker ist als wir selbst, kann uns Halt geben. Das habe ich im Glauben an Jesus Christus gefunden.

Er streckt uns Menschen liebevoll seine Hand entgegen. Wir müssen sie nur ergreifen.


Dumme Schafe – und ich

 

Im Weiltal bei Essershausen führte mich mein Spaziergang einen Hang entlang. Weiter unten waren Schafe eingepfercht. Sie grasten friedlich und ich freute mich an dem Anblick. Auch, weil mir die biblischen Bilder vom „guten Hirten“ Jesus und seiner Herde in den Sinn kamen.

 

Da sah ich auf einmal zwei Schafe außerhalb des Zauns. Dort wuchs kein Gras, da war nur gepflügtes Ackerland. Die beiden Tiere hatten das auch schon gemerkt und versuchten, zu der übrigen Herde auf der Weide zu kommen.

 

Was war da passiert? Als ich das Loch im Weidezaun bemerkte, konnte ich es mir denken. Irgendeine grüne Pflanze am Rand hatte die Schafe anscheinend verlockt, durch die Lücke nach draußen zu schlüpfen, um sich den Leckerbissen zu holen. Nun mussten sie feststellen, dass es hier sonst nichts zu fressen gab. Sie wollten wieder zurück, fanden aber das Loch im Zaun nicht mehr.

 

Eine Weile sah ich zu und überlegte, ob ich den armen Tieren helfen sollte. Da ich aber mit Schafen keinerlei Erfahrung habe und es außerdem sehr matschig war, siegte meine Bequemlichkeit über meine Tierliebe, und ich ging weiter in der Hoffnung, dass die Ausreißer irgendwann allein zurückfinden würden.

 

Da ging mir durch den Kopf: Wir Menschen machen es ja oft so ähnlich. Eigentlich sollten wir zur Herde des guten Hirten gehören. Und – um mit Psalm 23 zu sprechen – die „grünen Auen“ und das „frische Wasser“, die er mir bieten, sind ja auch genug. Mehr als genug! Ohne Bild gesprochen: Bei Jesus finde ich Geborgenheit in aller Angst, Freude und Trost in Trauer, einen Sinn des Lebens und ein Ziel. Aber dann ist da irgendetwas, das mich anlockt. Ich bilde mir ein, wenn ich dieses habe oder jenes tue, bringt mir das mehr Zufriedenheit. Die Enttäuschung kommt meistens schnell.

 

Ich vermute, dass die Schafe kaum zur Selbsterkenntnis fähig sind. Wenn doch, dann haben die beiden wohl gedacht: Es war verrückt von uns, auf so eine Verlockung hereinzufallen. Dumme Schafe waren wir! Was machen wir jetzt? Am besten, wir warten auf den guten Hirten, der uns wieder zurückbringt.

 

Nicht schwer zu raten, was ich mir vornahm, von diesem Erlebnis mit nach Hause zu nehmen.